Kirchen, Häuser und Stadtbausteine: Ein Nachruf auf Gottfried Böhm

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Gottfried Böhm im Herbst 2019 (Foto: Elke Wetzig/CC BY-SA 4.0)

Über Gottfried Böhm ist viel geschrieben worden, zu seinem 100. Geburtstag und jetzt nach seinem Tod: Über seine Originalität (Schöpfer von Architekturikonen!), seine Produktivität (wenn wir uns nicht verzählt haben: 69 Kirchenbauten!) seine Bescheidenheit (“Ich spreche am liebsten mit dem Zeichenstift”, sagte er der ZEIT vor 10 Jahren). Was kann man also noch sagen über diesen Ausnahmearchitekten, das noch nicht gesagt ist?

Aus Bonner Perspektive lohnt sich ein Blick auf die hiesigen Bauten Gottfried Böhms, der immer vor allem als Kölner Architekt mit internationaler Ausstrahlung wahrgenommen worden ist. Es gibt aber noch andere räumliche Schwerpunkte in seinem Werk. Dazu gehört die nordrhein-westfälische Peripherie, Städte wie Bocholt, Paderborn oder Bergisch-Gladbach, an deren Modernisierung, die zugleich oft schon Stadtreparatur war, er maßgeblich mitgewirkt hat. Das Saarland wäre ebenso zu nennen, mit dem postmodernen Mittelrisaliten des Saarbrücker Schlosses oder der filigranen, noch gar nicht den wuchtigen Beton betonenden Kirche St. Albert in der selben Stadt. Und auch die ehemalige Bundeshauptstadt Bonn gehört dazu.

Die Arbeit von Gottfried Böhm in Bonn beginnt Mitte der fünfziger Jahre mit St. Paulus in Beuel. Die Kirche war noch ein Entwurf seines Vaters Dominikus Böhm, den der Sohn ausgeführt und um einen Turm ergänzt hat. Damit steht sie sinnbildlich für die Familientradition im Büro Böhm. Tradition heißt hier allerdings nicht auf gut Rheinisch „han wer immer schon schon so jemacht“, sondern ganz im Wortsinn Weitergabe und Kontinuität – vor allem, was Überzeugungen, Sensibilität und Neugier betrifft.

Nach Plänen des Vaters Dominkus Böhm: St. Paulus in Beuel

Böhms Ausbau der Godesburg zu einem Hotel- und Restaurantkomplex wurde, wenig überraschend angesichts der üblichen Vorurteile, lange als Betonklotz geschmäht. Man könnte sich leicht überzeugen, dass dieser Vorwurf gerade hier nicht passt, von der kompromisslosen Ausführung der Oberflächen in Sichtbeton einmal abgesehen. Die modernen Bauten gewinnen ihre Form aus dem schon Vorhandenen und werden minutiös mit dem Mauerwerk der Ruine verzahnt. Das mag zum Teil noch nicht nach heutigen denkmalpflegerischen Standards geschehen sein, aber man darf doch nicht vergessen: Wir befinden uns hier im Jahr 1961. Für das, was hier erprobt wurde und was heute „Bauen im historischen Bestand“ heißt, gab es kaum Vorbilder. Böhm hat das Prinzip wenig später für seine Rathaus-Burg in Bensberg noch weiter getrieben.

Das Altstadt-Center in Bad Godesberg verfolgt dann schon einen völlig anderen Ansatz. Ein Teil von Alt-Godesberg („Knolleveedel“) war zuvor aufgeben worden, was kein heraustagender Sündenfall war, sondern leider noch dem Zeitgeist entsprach. An dieser Stelle versuchte Gottfried Böhm etwas zu entwickeln, was mit modernen Mitteln den Qualitäten eines gewachsenen Ortskerns wieder nahe kam. Die brillante Idee einer Verbindung zwischen Zentrum und Godesburg mittels einer Rampe samt Überbrückung der schon zur trennenden Barriere geworden Burgstraße ist leider nicht richtig verstanden und genutzt worden. Ein Umbau sichert jetzt immerhin die Wohnqualitäten der Anlage.

Auch wenn sie nicht auf Bonner Stadtgebiet liegt soll die Pfarrkirche in Alfter-Impekoven hier nicht vergessen werden. Schon deshalb, weil sie sozusagen die auf den Maßstab einer Dorfkirche verkleinerte Variante der berühmten Wallfahrtskirche in Velbert-Neviges ist. Man kann schwer abstreiten, dass St. Mariä Heimsuchung mit ihrer Wuchtigkeit auch etwas Herausforderndes hat, aber solche Reibung hat der kirchliche Bauherr damals durchaus beabsichtigt. Ein Allerweltsbau, das war nicht das, was man haben wollte. Im Detail beeindrucken dann wieder die kleinteilige Gestaltung und der souveräne Umgang mit dem Bauplatz, der die Kirche als Mittelpunkt des Dorfes inszeniert und hier im zersiedelten Stadtrandgebiet neue Orientierung stiftet.

Böhm-Kirche vor den Toren Bonns: St. Mariä Heimsuchung in Alfter-Impekoven

Die Geschichte über Böhm und Bonn wäre aber nicht zuende erzählt, wenn man nicht zumindest zwei seiner unrealisierten Pläne für die Stadt erwähnen würde. Da ist zum einen der Entwurf für das Bonner Stadttheater von 1959. Ein betonsichtiger Bau mit einem unregelmäßig gefaltenen Dach wäre es geworden, ausgerichtet auf das Siebengebirge. Wäre der Plan schnell ausgeführt worden, wäre das Theater womöglich Böhms erster großer „Betonfelsen“ geworden, ein früher Beitrag zum Stil des Brutalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Man wüsste gerne, wie es heute um dieses Gebäude stehen würde, bei aller Wertschätzung für die ihrerseits bemerkenswerte heutige Oper der Architekten Gessler und Beck-Erlang.

Auch der andere große Entwurf für Bonn hätte einen qualitätvollen Konkurrenten aus dem Feld schlagen müssen, was Böhm aber nicht gelang. Die Rede ist von der Erweiterung des Bundeshauses, heute genutzt von der Deutschen Welle, für die damals Joachim Schürmann den Zuschlag erhielt. Böhms Konzept hätte nicht wie Schürmann auf die klassische, „weiße“ Moderne Bezug genommen, sondern ganz einfach auf die gegenüberliegende Bebauung. Den historistischen Villen wollte er in direkter Entsprechung mit der Fassade vorangestellten Pavillons antworten. Eigentlich kein Wunder, dass diese Idee sich nicht durchsetzen konnte, denn sie war leicht als „zu verspielt“ abzulehnen.

Doch genau hier liegt eine der Qualitäten, die weniger oft genannt worden ist, obwohl sie viele, vielleicht sogar die meisten Bauten von Gottfried Böhm auszeichnet. Sie sind wie geschaffen für den homo ludens, den Menschen, der sich spielerisch die Welt anverwandelt, wie ihn der Historiker Johan Huizinga beschrieben hat. Die typischen Treppenanlagen nach Böhms Entwürfen, wie sie auch am Altstadt-Center auffallen, sind gelegentlich als kompliziert oder zu gewollt kritisiert worden. Aber wer einmal gesehen hat, wie Kinder dort hoch- und runterstürmen, versteht wie das Ganze gemeint ist.

Für viele aus dem Team der Werkstatt Baukultur waren die Bauten von Gottfried Böhm ein Ausgangspunkt, ein erster verblüffender Hinweis, dass man nicht unbedingt nach Venedig reisen muss, um großartige Architektur zu erleben, sondern dass an dieser Nachkriegsmoderne, direkt hier vor unserer Haustür, etwas dran sein könnte. Inzwischen haben wir und viele andere die Bauwerke der Jahrzehnte zwischen 1950 und 1990 kennen und schätzen gelernt. Und dennoch: Viel besser als bei Böhm wurde es nicht. Seine Kirchen, Häuser und Stadtbausteine gehören zum Staunens- und Bewahrenswertesten, was dieses widersprüchliche Zeitalter hinterlassen hat. (AK)

Zuerst veröffentlicht zum 100. Geburtstag von Gottfried Böhm am 23.01.2020. Er ist am 9. Juni 2021 in Köln gestorben.