Bonner Kommunalwahl: Das Thema Baukultur

„Guter Rat ist teuer“ titelt gerade das Bonner Stadtmagazin „Schnüss“: Die Kommunalwahl steht vor der Tür und bei der Frage, wo man sein Kreuz macht, spielen für die Wahlberechtigten in Bonn ganz unterschiedliche Themen eine Rolle.


Uns liegt seit dem Beginn unserer Arbeit im Jahr 2011 der Denkmalschutz am Herzen, die Architektur der Nachkriegsmoderne sowie eine nachhaltige Stadtentwicklung, die den Baubestand kreativ weiterentwickelt („Putzen und Benutzen“), anstatt auf Abriss und Neubau zu setzen. Deshalb waren wir erfreut, im Kommunalwahlprogramm der Partei Die Linke folgende Punkte zu finden.

  • „Der Denkmalschutz ist umfassend zu beachten und auch denkmalwerte Gebäude der 1960er bis 1980er Jahre sind verstärkt unter Schutz zu stellen. Auch unabhängig vom Denkmalschutz ist bei Um- und Neubauten insbesondere in den gewachsenen Ortszentren und Siedlungen das Gestaltungsbild zu berücksichtigen. Die Sanierung von Gebäuden soll grundsätzlich Vorrang vor dem Abriss und Neubau haben.“
  • „Das Stadthaus soll saniert und als innenstadtnahes Verwaltungsangebot erhalten werden. Durch den Rückbau der Parkflächen und Nutzung von Freiflächen kann eine Straßenrandbebauung entlang der Maxstraße/Weiherstraße entstehen, sofern der Platz an der Straßenecke erhalten und auch sozialer Wohnraum geschaffen wird.“
  • „Sofortige Sanierung des Frankenbads als Schwimmbad.“

In den Wahlprogrammen von CDU, SPD, Grünen und FDP wird der Denkmalschutz dagegen nicht eigens erwähnt. Leider berücksichtigen auch die Grünen nicht den ökologischen Mehrwert von Bestandserhalt und Umbau, der in der Fachdiskussion zurzeit eine so große Rolle spielt („Hinterfragt Abriss kritisch“, fordert etwa die Klimainitiative Architects for Future). Die FDP artikuliert dagegen an verschiedenen Stellen ihres Programms eine Skepsis gegenüber Investitionen in den Baubestand. CDU und SPD treten außerdem ausdrücklich für einen Abriss und Neubau des Bonner Stadthauses ein – wenig schlüssig für eine Stadt, die den Klimanotstand ausgerufen hat, wie wir meinen.


Keine Rolle spielt in den Programmen der genannten Parteien die Zukunft der Stadthalle Bad Godesberg. Ashok Sridharan, der für die CDU erneut als Oberbürgermeisterkandidat antritt, positionierte sich jedoch in einem Interview eindeutig: „Wir müssen eben jetzt prüfen, weil die Stadthalle ja unter Denkmalschutz steht, müssen oder können wir alles abreißen oder müssen wir einzelne Teile stehen lassen. Meine Tendenz geht dahin: Komplettabriss und Neubau, weil das natürlich auch wirtschaftlich am sinnvollsten ist.“ (Quelle: Interview mit bonn.fm)


Dagegen spricht sich der Bürger Bund Bonn dafür aus, Bauten der Bonner Republik (wie die Stadthalle) besser zu erhalten und auch touristisch zu vermarkten. Dafür wird eine Aufwertung des „Wegs der Demokratie“ angeregt und zum Beispiel die Aufnahme der HICOG-Siedlungen in diese Route vorgeschlagen. Die Partei weist außerdem darauf hin, dass in Bonn „mehr als 100.000m²“ Büroflächen leer stünden, aber dennoch weitere Büroflächen gebaut würden.
(Quelle: „Bonn-Agenda“ des BBB)

Wir können also gespannt sein, wie es nach der Wahl mit der Baukultur in Bonn weitergehen wird.



Kirchen, Häuser und Stadtbausteine: Ein Nachruf auf Gottfried Böhm

Gottfried Böhm im Herbst 2019 (Foto: Elke Wetzig/CC BY-SA 4.0)

Über Gottfried Böhm ist viel geschrieben worden, zu seinem 100. Geburtstag und jetzt nach seinem Tod: Über seine Originalität (Schöpfer von Architekturikonen!), seine Produktivität (wenn wir uns nicht verzählt haben: 69 Kirchenbauten!) seine Bescheidenheit (“Ich spreche am liebsten mit dem Zeichenstift”, sagte er der ZEIT vor 10 Jahren). Was kann man also noch sagen über diesen Ausnahmearchitekten, das noch nicht gesagt ist?

Aus Bonner Perspektive lohnt sich ein Blick auf die hiesigen Bauten Gottfried Böhms, der immer vor allem als Kölner Architekt mit internationaler Ausstrahlung wahrgenommen worden ist. Es gibt aber noch andere räumliche Schwerpunkte in seinem Werk. Dazu gehört die nordrhein-westfälische Peripherie, Städte wie Bocholt, Paderborn oder Bergisch-Gladbach, an deren Modernisierung, die zugleich oft schon Stadtreparatur war, er maßgeblich mitgewirkt hat. Das Saarland wäre ebenso zu nennen, mit dem postmodernen Mittelrisaliten des Saarbrücker Schlosses oder der filigranen, noch gar nicht den wuchtigen Beton betonenden Kirche St. Albert in der selben Stadt. Und auch die ehemalige Bundeshauptstadt Bonn gehört dazu.

Die Arbeit von Gottfried Böhm in Bonn beginnt Mitte der fünfziger Jahre mit St. Paulus in Beuel. Die Kirche war noch ein Entwurf seines Vaters Dominikus Böhm, den der Sohn ausgeführt und um einen Turm ergänzt hat. Damit steht sie sinnbildlich für die Familientradition im Büro Böhm. Tradition heißt hier allerdings nicht auf gut Rheinisch „han wer immer schon schon so jemacht“, sondern ganz im Wortsinn Weitergabe und Kontinuität – vor allem, was Überzeugungen, Sensibilität und Neugier betrifft.

Nach Plänen des Vaters Dominkus Böhm: St. Paulus in Beuel

Böhms Ausbau der Godesburg zu einem Hotel- und Restaurantkomplex wurde, wenig überraschend angesichts der üblichen Vorurteile, lange als Betonklotz geschmäht. Man könnte sich leicht überzeugen, dass dieser Vorwurf gerade hier nicht passt, von der kompromisslosen Ausführung der Oberflächen in Sichtbeton einmal abgesehen. Die modernen Bauten gewinnen ihre Form aus dem schon Vorhandenen und werden minutiös mit dem Mauerwerk der Ruine verzahnt. Das mag zum Teil noch nicht nach heutigen denkmalpflegerischen Standards geschehen sein, aber man darf doch nicht vergessen: Wir befinden uns hier im Jahr 1961. Für das, was hier erprobt wurde und was heute „Bauen im historischen Bestand“ heißt, gab es kaum Vorbilder. Böhm hat das Prinzip wenig später für seine Rathaus-Burg in Bensberg noch weiter getrieben.

Das Altstadt-Center in Bad Godesberg verfolgt dann schon einen völlig anderen Ansatz. Ein Teil von Alt-Godesberg („Knolleveedel“) war zuvor aufgeben worden, was kein heraustagender Sündenfall war, sondern leider noch dem Zeitgeist entsprach. An dieser Stelle versuchte Gottfried Böhm etwas zu entwickeln, was mit modernen Mitteln den Qualitäten eines gewachsenen Ortskerns wieder nahe kam. Die brillante Idee einer Verbindung zwischen Zentrum und Godesburg mittels einer Rampe samt Überbrückung der schon zur trennenden Barriere geworden Burgstraße ist leider nicht richtig verstanden und genutzt worden. Ein Umbau sichert jetzt immerhin die Wohnqualitäten der Anlage.

Auch wenn sie nicht auf Bonner Stadtgebiet liegt soll die Pfarrkirche in Alfter-Impekoven hier nicht vergessen werden. Schon deshalb, weil sie sozusagen die auf den Maßstab einer Dorfkirche verkleinerte Variante der berühmten Wallfahrtskirche in Velbert-Neviges ist. Man kann schwer abstreiten, dass St. Mariä Heimsuchung mit ihrer Wuchtigkeit auch etwas Herausforderndes hat, aber solche Reibung hat der kirchliche Bauherr damals durchaus beabsichtigt. Ein Allerweltsbau, das war nicht das, was man haben wollte. Im Detail beeindrucken dann wieder die kleinteilige Gestaltung und der souveräne Umgang mit dem Bauplatz, der die Kirche als Mittelpunkt des Dorfes inszeniert und hier im zersiedelten Stadtrandgebiet neue Orientierung stiftet.

Böhm-Kirche vor den Toren Bonns: St. Mariä Heimsuchung in Alfter-Impekoven

Die Geschichte über Böhm und Bonn wäre aber nicht zuende erzählt, wenn man nicht zumindest zwei seiner unrealisierten Pläne für die Stadt erwähnen würde. Da ist zum einen der Entwurf für das Bonner Stadttheater von 1959. Ein betonsichtiger Bau mit einem unregelmäßig gefaltenen Dach wäre es geworden, ausgerichtet auf das Siebengebirge. Wäre der Plan schnell ausgeführt worden, wäre das Theater womöglich Böhms erster großer „Betonfelsen“ geworden, ein früher Beitrag zum Stil des Brutalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Man wüsste gerne, wie es heute um dieses Gebäude stehen würde, bei aller Wertschätzung für die ihrerseits bemerkenswerte heutige Oper der Architekten Gessler und Beck-Erlang.

Auch der andere große Entwurf für Bonn hätte einen qualitätvollen Konkurrenten aus dem Feld schlagen müssen, was Böhm aber nicht gelang. Die Rede ist von der Erweiterung des Bundeshauses, heute genutzt von der Deutschen Welle, für die damals Joachim Schürmann den Zuschlag erhielt. Böhms Konzept hätte nicht wie Schürmann auf die klassische, „weiße“ Moderne Bezug genommen, sondern ganz einfach auf die gegenüberliegende Bebauung. Den historistischen Villen wollte er in direkter Entsprechung mit der Fassade vorangestellten Pavillons antworten. Eigentlich kein Wunder, dass diese Idee sich nicht durchsetzen konnte, denn sie war leicht als „zu verspielt“ abzulehnen.

Doch genau hier liegt eine der Qualitäten, die weniger oft genannt worden ist, obwohl sie viele, vielleicht sogar die meisten Bauten von Gottfried Böhm auszeichnet. Sie sind wie geschaffen für den homo ludens, den Menschen, der sich spielerisch die Welt anverwandelt, wie ihn der Historiker Johan Huizinga beschrieben hat. Die typischen Treppenanlagen nach Böhms Entwürfen, wie sie auch am Altstadt-Center auffallen, sind gelegentlich als kompliziert oder zu gewollt kritisiert worden. Aber wer einmal gesehen hat, wie Kinder dort hoch- und runterstürmen, versteht wie das Ganze gemeint ist.

Für viele aus dem Team der Werkstatt Baukultur waren die Bauten von Gottfried Böhm ein Ausgangspunkt, ein erster verblüffender Hinweis, dass man nicht unbedingt nach Venedig reisen muss, um großartige Architektur zu erleben, sondern dass an dieser Nachkriegsmoderne, direkt hier vor unserer Haustür, etwas dran sein könnte. Inzwischen haben wir und viele andere die Bauwerke der Jahrzehnte zwischen 1950 und 1990 kennen und schätzen gelernt. Und dennoch: Viel besser als bei Böhm wurde es nicht. Seine Kirchen, Häuser und Stadtbausteine gehören zum Staunens- und Bewahrenswertesten, was dieses widersprüchliche Zeitalter hinterlassen hat. (AK)

Zuerst veröffentlicht zum 100. Geburtstag von Gottfried Böhm am 23.01.2020. Er ist am 9. Juni 2021 in Köln gestorben.

Rückblick: Tag des offenen Denkmals 2019

 

Am 8. September war es in diesem Jahr schon kühl und herbstlich, aber dennoch können wir sagen: Der Tag des offenen Denkmals, der am vergangenen Sonntag stattgefunden hat, war wieder ein Erfolg und hat in Bonn zahlreiche schöne Begegnungen mit Baudenkmälern und engagierten Menschen ermöglicht.

Viele der 63 Programmpunkte waren sehr gut besucht. Stadtführer Rainer SELmanN, der den Jüdischen Friedhof in Schwarzrheindorf vorstellte, schrieb uns: „Trotz fürchterlichem Regenguss (ich hatte fast niemanden erwartet), waren es 26 Teilnehmer. Vielen Dank für Ihre Organisation. Ich bin gerne im nächsten Jahr 2020 wieder mit dabei.“

Die Führungen der Werkstatt Baukultur Bonn stießen ebenfalls auf großes Interesse: Rund 60 Gäste interessierten sich zum Beispiel für das vermeintlich altbekannte Bundesviertel, im Frankenbad ging es mit mehr als 70 Besucherinnen und Besuchern in den Gartenhof und auf die Tribüne der markanten Schwimmhalle, die Führung durch die Stadthalle Bad Godesberg – pünktlich zum Erscheinen unseres neuen Architekturführers – erreichte rund 50 Interessierte. Und auch zur Beethovenhalle gab es positive Nachrichten: Am 60. Geburtstag des Baudenkmals, der exakt auf den Tag des offenen Denkmals fiel, kamen fast 300 Menschen zur Baustelle, um mehr zu erfahren über den weiteren Verlauf der Restaurierung.

Wie in den vergangenen Jahren hat die Werkstatt Baukultur im Auftrag der Unteren Denkmalbehörde der Bundesstadt Bonn die Programmplanung des Tages übernommen. Angesichts der rund 4.300 Bonner Baudenkmäler ist das immer wieder eine reizvolle Aufgabe. Das diesjährige Motto „Modern(e): Umbrüche in Kunst und Architektur“ passte natürlich besonders gut zu unserem Profil. Wir freuen uns, dass wir dazu beitragen können, den von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz initiierten Tag des offenen Denkmals in unserer Stadt zu einem Fest der Bau- und Geschichtskultur zu machen. Wir sind aber sicher, das in Zukunft sogar ein noch attraktiveres Programm möglich ist, mit dem Bonn ein Ausrufezeichen setzen kann.

 

 

Für den Erhalt der Gebäude des Theaters Bonn – Denkmalschutz der Stadthalle Bad Godesberg respektieren

Die „Gemeinsame Stellungnahme“, die wir hier wiedergeben, wurde initiiert vom Regionalverband Bonn/Rhein-Sieg/Ahr im Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz e.V., Mitunterzeichner sind Bürger.Bad.Godesberg e.V., Rettet die Amerikanische Siedlung Plittersdorf e.V. und die Werkstatt Baukultur Bonn. Der Text wurde vorgestellt am 1. Oktober 2018 im Rahmen des Bonner Baukultur-Salons Nr. 6 im Trinkpavillon an der Stadthalle Bad Godesberg.

 

Im Zuge der aktuellen Diskussion um die Zukunft der Bonner Theaterspielstätten fordern wir eine Entscheidung für Variante 1 oder 2 des vorliegenden Gutachtens der actori GmbH – also den Erhalt und die Sanierung von Schauspielhaus und Oper. Damit wäre dann auch der Weg frei für eine Instandsetzung und Aufwertung des Baudenkmals Stadthalle Bad Godesberg, die im Leitbildprozess für Bad Godesberg zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger als „wichtig“ bezeichnet haben.

Das Gutachten zu den Theaterspielstätten hat die gute Wirtschaftlichkeit einer Sanierung herausgestellt. Da in bisherigen Diskussionen vor allem die angebliche finanzielle „Unkalkulierbarkeit“ gerade solcher Maßnahmen betont worden ist, sollte dieses Ergebnis jetzt auch ernst genommen werden anstatt weiterhin reflexhaft auf die Probleme mit der Beethovenhalle zu verweisen. „Bauen im Bestand“ ist eine wichtige Zukunftsaufgabe, die Erfahrungen damit werden ständig größer und auch Neubauprojekte garantieren niemals die Einhaltung der Kostenkalkulation.

Die Sanierung von stadtbildprägenden und denkmalgeschützen Bauwerken ist außerdem nie nur ein technischer Vorgang. Eine Stadt kann sie auch zu einem Projekt machen, sie positiv begleiten und damit zu deren „Neuentdeckung“ einladen – die Oper, das Schauspielhaus und die Stadthalle bieten dafür viel Potential. Das Opernhaus von 1965 ist ein markanter Baustein der Stadtsilhouette am Rhein, seiner hochwertigen Ausstattung und den Lichtinstallationen des weltbekannten Künstlers Otto Piene in Saal und Foyer müsste ein Neubau erst einmal etwas Gleichwertiges entgegensetzen. Die ehemaligen Kammerspiele sind gerade erst mit großem Erfolg als Schauspielhaus neueröffnet worden, womit auch ihre zentrale Lage mitten im Zentrum von Bad Godesberg noch einmal betont wurde. Bei der Stadthalle von 1957 ist das auskragende Vordach nur das sichtbarste Merkmal eines Bauwerks im „beschwingten Look“ der 1950er Jahre. Darüber hinaus ist die Stadthalle auch historisch bedeutend (Verabschiedung des „Godesberger Programm“ der SPD im Jahr 1959, die Aufnahme in den „Weg der Demokratie“ ist beschlossen) und sie hat „funktioniert“ – in wirtschaftlicher Hinsicht und als sozialer Treffpunkt im Stadtbezirk.

Bedenklich finden wir, welche geringe Rolle der seit 2012 bestehende Denkmalschutz der Stadthalle bei den bisherigen Überlegungen gespielt hat. Im Wissen darum, dass dieser Status in letzter Instanz auch aufgehoben werden kann, scheint der Denkmalschutz nur noch als „Hürde“ neuer Planungen zu gelten. Als das nordrhein-westfälische Denkmalschutzgesetz im Jahr 1980 in Kraft trat, war ihm aber eine langandauernde öffentliche Debatte um Geschichtsbewusstsein und auch um lebenswerte Städte vorausgegangen. Heute kommt noch die ökologische Frage dazu, gerade in der „Klimahauptstadt Bonn“: Ein Abriss ist immer eine gewaltige Vernichtung von Ressourcen und sollte nur die letzte Option sein.

Wir glauben deshalb, dass eine Sanierung von Oper, Schauspielhaus und Stadthalle sich lohnt: Sie kann Teil einer zukunftsgerichteten Weiterentwicklung sein, die in Bonn auf Vielfalt und den Ausbau vorhandener Qualitäten setzt statt auf einen vermeintlichen „großen Wurf“ zu hoffen – so wie es sich eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger schließlich auch im umstrittenen Bürgerentscheid zur Bäderfrage gewünscht hat. Wenn dieser Prozess zügig und selbstbewusst umgesetzt wird, kann das durchaus zur Stärkung der Bonner Identität beitragen. Daran wollen auch wir, als in der Stadt und im Stadtbezirk Bad Godesberg engagierte Vereine und Initiativen, gerne mitwirken.

 

Lust auf Mehr

Wünschen ist erlaubt, das steht außer Frage. Auch der Wunsch nach einem brandneuen Spaßbad in Bonn ist zunächst einmal legitim, nicht wenige in Bonn hielten die Idee für reizvoll. Eine Mehrheit der Bonnerinnen und Bonner hat im Bürgerentscheid die Planung für das sogenannte „Wasserlandbad“ in Dottendorf jetzt gestoppt. Wir finden: Es war eine gute Entscheidung.

Fest steht damit zunächst allerdings nur, dass dieser Bad-Neubau nicht kommen wird. Einen Beschluss für den Umgang mit den Bonner Bestandsbädern gibt es nicht, Oberbürgermeister Ashok Sridharan sagt dann auch, für Bonn sei das nun eine „schwierige Situation“. Aber ist nicht ganz klar, was jetzt passieren muss? Auch wenn das nicht das Thema des Bürgerentscheids war: De facto ist der Ausgang ein Votum für vier Hallenbäder in Bonn, je eines pro Stadtbezirk. Deswegen müssen diese öffentlichen Einrichtungen jetzt zügig saniert, barrierefrei gemacht und aufgewertet werden.

Denn eine Festlegung auf den Status Quo war der Bürgerentscheid keineswegs. Das denkmalgeschütze Frankenbad hat noch großes Potential. Es spricht nichts gegen behutsame Erweiterungen, viele Räume im Gebäude stehen leer und der Gartenhof wartet schon lange darauf, wieder aktiviert zu werden. Erinnert sich eigentlich auch noch jemand, wie es im jetzt schon seit zwei Jahren geschlossenen Kurfürstenbad aussah? In die Schwimmhalle gelangte man über eine elegante Empore, an einem Brunnen gab es kostenloses Heilwasser, seine Bahnen zog man mit Blick auf das charmante Wandbild des Godesberger Künstlers Paul Magar. Das alles sollte jetzt wiederentdeckt werden, ein Kinderbecken und eine Gastronomie könnten dieses Angebot problemlos ergänzen – fertig wäre das „Neue Kurfürstenbad„.

Der Blick und die Kreativität, die man für dieses Vorgehen braucht, sind heute mehr und mehr gefragt. Schon vor einigen Jahren haben die französischen Architekten Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal mit ihrer Idee für die Neugestaltung eines Platzes in Bordeaux Aufsehen erregt. Statt tatsächlich alles neu zu machen empfahlen sie, die Bausumme in die regelmäßige Pflege des Ortes und kleine Anpassungsmaßnahmen zu investieren, was dann auch geschah. Auch wenn wir als Werkstatt Baukultur überhaupt nichts gegen zeitgenössische Architektur haben kommt das unserer Vorstellung von „Baukultur“ schon sehr nahe. Wir nennen das „Putzen und Benutzen“.

Vielleicht gibt es, nachdem der intensiv ausgetragene „Wahlkampf“ für den Bürgerentscheid vorbei ist, jetzt auch wieder mehr Zeit für andere Themen. Was ist eigentlich mit der Halle des Viktoriabades samt dem beeindruckenden Kunstharzfenster? Ist die nicht schon viel zu lange ungenutzt und verdient es das inzwischen denkmalgeschützte Farbkunstwerk nicht, endlich zu einer Attraktion gemacht zu werden? Und muss nicht auch die Stadthalle Bad Godesberg denkmalgerecht fit für die kommenden Jahre gemacht werden? Uns macht das „Ja“ im Bürgerentscheid jedenfalls Lust auf mehr. Wenn es jetzt in dieser Richtung weitergeht, dann wird der 4. August 2018 in Zukunft tatsächlich ein denkwürdiger Tag sein.

 

Die Aufhebung des einheitlichen Niveaus

Ein letzter Blick: Jetzt ist es wirklich nicht mehr schön…

 

Bald ist es endlich weg, das „größte Bonner Schmuddeleck“: Der Bahnhofsvorplatz in Gestalt des „Bonner Lochs“ ist drauf und dran, endgültig zu verschwinden – dabei hätte man ihn nur nutzen müssen. Eine kleine Geschichte eines großen Missverständnisses.

Kennen Sie die „Waschmaschine“ in Berlins Mitte? Richtig, so nennt man das würfelförmige Bundeskanzleramt mit dem runden Glasfassaden-Einschnitt in der Front. Oder den „Maiskolben“ in Augsburg? Ein zylinderförmiges Hochhaus, dessen umlaufende Balkone manche an das körnige Gemüse erinnern. Und in Bonn? Dort klafft ein „Loch“. Es war einmal ein Bahnhofsvorplatz, ist als solcher aber nicht wirklich akzeptiert worden. Wie kam es eigentlich dazu?

Um unterirdisch vor dem Hauptbahnhof die künftige Stadtbahnhaltestelle anlegen zu können, war ab 1971 eine Schneise in die gründerzeitliche Baubauung geschlagen worden. Als die U-Bahn fertig war, musste die Lücke wieder geschlossen werden. Der Stadtplaner Friedrich Spengelin entwarf mit Kollegen dafür eine „Überbauung“ im Süden und eine später nicht mehr realisierte im Norden, wo heute ein Parkplatz ist. Dazwischen aber lag das Herzstück der Planung: Ein terrassierter Platz, der einerseits den Abstieg zur U-Bahn ermöglichen, andererseits aber ein neu gewonnenes Stück Stadt werden sollte.

Als „Eingangsraum“ der Stadt wurde das Ganze im April 1979 fertiggestellt, pünktlich zur Bundesgartenschau in Bonn. Entsprechend grün war es auch in den Beeten auf dem Bahnhofsvorplatz, nebenan auf dem Nordfeld stand das „Diatope“ des Komponisten und Architekten Iannis Xenakis, ein damals bahnbrechendes Multimedia-Projekt. Als nach einigen Jahren die ersten Abnutzungserscheinungen an der Platzanlage auftraten und Reparaturen nötig wurden, begann stattdessen der Rückbau. Im Brunnen sprudelte kein Wasser mehr, die pavillonartigen Gerüstkonstruktionen, die dem Platz nach Norden hin eine Form gaben, wurden nach und nach entfernt, hölzerne Sitzbänke auf den Terrassen (lesen Sie hier auch: Sitzen im Bonner Loch) abmontiert. Das „Loch“, wie wir es heute kennen, ist der Endpunkt dieser Entwicklung.

Putzen und benutzen: WERKSTATT @ Bonner Loch im August 2012

Trotzdem war der Name „Bonner Loch“ damals sofort in der Welt, sogar schon vor der Einweihung der Anlage. Wenn Architektur mit Spitznamen belegt wird – das zeigen auch die eingangs genannten Beispiele – hat das fast immer mit Abweichungen vom Erwartbaren zu tun. Irgendeine Schachtel im Gewerbegebiet – oder auch das „InterCityHotel“ hinter dem Bonner Hauptbahnhof – bekommt normalerweise keinen Spitznamen. Es muss schon etwas da sein, woran sich man sich reiben kann. Eines der ältesten geläufigen Beispiele steht seit 1911 am Wiener Michaelerplatz: Der kämpferische Reformarchitekt Adolf Loos hatte hier ein Gebäude errichtet, das ohne die damals gängigen schmückenden Giebel über den Fenstern auskam. In Wien sprach man fürderhin vom „Haus ohne Augenbrauen“.

Auch Spengelins Bonner „Loch“ brach mit den Erwartungen: Mitten im Stadtzentrum tat sich plötzlich eine Art Landschaft auf, das einheitliche Niveau der Straßen wurde aufgehoben. Vielleicht hätte man erst lernen müssen, dieses Terrain wirklich zu benutzen. Die Konzerte des „Bonner Sommers“ auf dem Bahnhofsvorplatz zum Beispiel, die es zuletzt 2010 noch einmal gegeben hatte, waren eine gute Übung darin. Doch alles in allem war die Bezeichnung „Loch“ eine selbsterfüllende Prophezeiung: Der Name, den man dem Bahnhofsvorplatz gab, nahm dessen Zukunft vorweg. Nach den „Kölner Ereignissen“ in der Silvesternacht 2015 kann man ohnehin den Eindruck gewinnen, zweckfreier öffentlicher Raum werde heute oft eher als Problem angesehen. Die Konsequenz lautet: Es gibt Kriminalität auf dem Bahnhofsvorplatz? Dann lasst ihn uns abschaffen!

Heutige Planer überlegen sich gerne selbst wohlklingende Namen für ihre Vorhaben – die „Welle“ oder der „Diamant“, die anstelle der Beethovenhalle einmal das Rheinufer zieren sollten, lassen grüßen. Das Projekt von „die developer“, das am Bahnvorplatz bald fix und fertig hingestellt werden soll, heißt „Urban Soul“. Worin dessen „Seele“ besteht, beschreibt das Unternehmen selbst im schönsten Immobilien-Sprech (Wieviele „Buzzwords“ kriegen wir in einen Satz?) wie folgt: „Das Konzept zielt auf eine nachhaltige, ganztägig lebendige und stets vermietbare Lösung in einer Bonner Top-Lage ab.“ Das Gebäude, mit dem der Bahnhofsvorplatz überbaut wird – wie weit, darüber gab es im Stadtrat zuletzt noch einige Verwirrung – nennt sich „Lifestyle House“.

Eine Bühne in der Stadt: Führung der Werkstatt am Bahnhofsvorplatz

Noch einmal eine Rückblende: Was hatte Friedrich Spengelin Mitte der siebziger Jahre im Sinn? Er wollte den Bonner Bahnhofvorplatz zu einem „öffentlichen Begegnungsraum“ werden lassen, der „gezielte und spontane Kommunikation“ ermöglichen und eine „unverwechselbare“ Charakteristik aufweisen sollte. Dafür gab es gab sogar die Idee eines Lichtspiels, mit dem der Platz zu bestimmten Zeiten, „vergleichbar den Glockenspielen in Holland“, eine besondere Attraktion erhalten sollte. Der „Klanggrund“ mit der 2010 entstandenen Sound-Installation des Österreichers Sam Auinger war ein später Nachfahre dieser Idee.

Die Bauzäune stehen jetzt schon. In Kürze wird das „Bonner Loch“ endgültig verschwunden sein, eine Kuriosität aus den Tagen der Bundeshauptstadt, an die sich kaum noch jemand erinnert. Sollten dann doch noch einmal Fragen aufkommen, was denn dieses „Loch“ eigentlich war, wird die Antwort lauten müssen: Es war eine Chance, die nicht genutzt wurde. Sie wird so schnell nicht wiederkommen.

[zuerst erschienen in Schnüss. Das Bonner Stadtmagazin, Ausgabe 05/2016]

 

 

Wo Stadtluft wirklich etwas freier macht

Mehr Grün war selten: Ein Blick in die Amerikanische Siedlung Plittersdorf.

 

Versuchen Sie es doch einmal mit einem Experiment: Fragen Sie jemand im Bekanntenkreis, ob er oder sie sich vorstellen könnte, in eine Siedlung zu ziehen, die 1951 errichtet worden ist. Wahrscheinlich wird die Antwort von hochgezogenen Augenbrauen begeleitet sein: Freiwillig in ein Wohnsilo aus den Nachkriegsjahren? Das ist doch sicher alles schnell und billig hochgezogen worden, spießig, bonjour tristesse. Mit einiger Sicherheit vorhersagen lässt sich diese Reaktion, weil Sie auf einem kollektiven Wissen aufbaut, das wir alle teilen.

Doch es wird Zeit, genau das zu korrigieren. Gehen Sie also gemeinsam in den Bonner Süden, nach Plittersdorf. Am südlichen Ende der Rheinaue zweigt nach links bogenförmig die Kennedyallee ab, nochmal nach links geht es kurz darauf in die Europastraße. Es sollte sofort auffallen, dass man hier einen anderen Teil der Stadt betritt – und einer Vergangenheit begegnet, die bisher fast nichts von Ihrer Aktualität und ihrem Reiz verloren hat.

In der „Amerikanischen Siedlung“ in Plittersdorf ist Großzügigkeit der hervorstechende Eindruck, die Weite und die Vielfalt der Bäume ist beeindruckend. Fällt der Blick dann noch auf die Stimson Memorial Chapel, könnte man endgültig meinen, man sei auf dem Campus einer amerikanischen Universität (wie dem der Highpoint University) gelandet. Errichtet wurde die Anlage zunächst für die Besatzungsmacht, für amerikanische Mitarbeiter der „Hohen Kommission“ (HiCoG). Maßgeblich geprägt hat Ihre Gestalt jedoch der Münchner Sep Ruf, der Architekt des Bonner Kanzlerbungalows. Die lokalen Gartenarchitekten Hermann Mattern und Heinrich Raderschall gaben den an sich schlichten Bauten, denen Luxus weitgehend abgeht, einen grünen Zusammenhang. Das alles gibt der Siedlung eine ganz eigene Atmosphäre und macht sie zu einem Ort mit hoher Lebensqualität.

Mit der Reutersiedlung schloss der Architekt Max Taut an die Ideale der Gartenstadt an.

So konnte also die Nachkriegszeit in Bonn aussehen? Ja, und es gibt noch mehr davon. Die Reutersiedlung wirkt, obwohl die großen Ausfallstraßen nicht weit sind, fast dörflich. Die Idee der Gartenstadt aus der Zeit um 1900 tritt hier besonders deutlich wieder zutage. Bei den HiCoG-Siedlungen in Muffendorf und Tannenbusch dominiert das moderne Gepräge einer Zeit, die von Grund auf neue Stadtvisionen zu Papier gebracht hat und sie manchmal auch realisieren konnte. Natürlich hat es seit den 1970er Jahren viel Kritik an solchen Neuplanungen „auf der grünen Wiese“ gegeben. Sie war oft berechtigt und aus ihr speisen sich auch die geläufigen Vorurteile. Bei den Bonner Beispielen aus den Fünfzigern greift das allerdings noch nicht. Sie entstanden noch vor dem Überdrehen der Bauwirtschaft und tragen jeweils eine baukünstlerische Handschrift, die ein bloßes „Quadratmeter-Denken“ gar nicht kennt. Gemeinsam ist den vier Bonner Siedlungen vor allem, dass sie (noch) nicht als Großsiedlungen geplant wurden. Der Maßstab bleibt überschaubar, die grünen Freiflächen haben klare Begrenzungen.

Dort, wo in späteren Wohnanlagen diese Eigenschaften fehlen, ist Veränderung doppelt sinnvoll. Die sogenannte Nachverdichtung, das Einfügen weiterer Bauten auf Freiflächen, kann dann klarer konturierte Räume hervorbringen und ist auch ökologisch sinnvoller, als erneut anderswo Neubaugebiete auszuweisen. Natürlich sind auch bei den Bonner Beispielen Veränderungen nicht ausgeschlossen, in Abstimmung mit dem Denkmalschutz, den alle Anlagen genießen, versteht sich. Aber ihre Qualitäten sind fragil und können auch schnell abhanden kommen. Deshalb geht es jetzt darum, sich bewusst zu machen, dass diese Wohnlandschaften nicht dem Klischee, das in allen Köpfen sitzt, entsprechen. Sie sind nicht nur eine Verfügungsmasse, sondern ein kulturelles Erbe, dessen zukünftige Bedeutung wir noch gar nicht absehen können. Oft wird heute die Frage gestellt, „wie wir eigentlich leben wollen“. Selbst wenn die Antwort nicht mehr genau die sein kann, die hier vor gut 60 Jahren gegeben wurde: Es lohnt sich trotzdem, von den alten Ideen zu wissen und auf ihnen aufbauen zu können.

Das am Anfang beschriebene Experiment muss übrigens keine Theorie bleiben: Kommen Sie am 15. Juli zum Aktionstag  „Reihenweise Kulturerbe | Bonner Siedlungen neu entdecken“, den die Werkstatt Baukultur zusammen mit den Kolleginnen und Kolleginnen der Vereine und Initiativen, die sich vor Ort für die Bonner Nachkriegs-Siedlungen einsetzen, organisiert. Es wird eine Erkundung zum Augenöffnen und auch zum Genießen.